4. Januar – Tag 22
Um 9:30 Uhr verlasse ich die gastliche Stätte, in der ich meine letzte Nacht verbracht habe. Irgendwie war die halbe Nacht „Remmi-Demmi“ auf dem Flur – und ich habe nur mäßig gut geschlafen. Aber schließlich waren außer den beiden Berlinerinnen und mir ja auch ausschließlich Inder im Hotel. Die haben da anscheinend ihre eigenen Vorstellungen, was Rücksichtnahme angeht. Aber das hatte ich ja schon mal erwähnt – solch eine Regung ist im Hinduismus nicht wirklich verankert. Da ist jeder halt „seines eigenen Glückes Schmied“!
Ganz süß waren noch zwei indische Jungs – einer vielleicht 10 Jahre alt und der andere 6 Jahre – die ich auf dem Flur getroffen habe. Wie üblich wird dann der Standard-Fragenkatalog heruntergespult: Woher ich komme, wie ich heiße, was ich arbeite. Aber all das hat seinen Grund… denn die klassische indische Gesellschaft ist stark geprägt von Hierarchien. Und man möchte einfach nur schnell herausfinden, auf welcher Stufe man denn sein Gegenüber einzuordnen hat. Als der Zehnjährige (!!!) dann jedoch nach meinem Gehalt gefragt hat, bin ich nicht weiter drauf eingegangen und habe das Thema zu Fußball gewechselt. Aber selbst eine solch direkte Frage ist für Inder nichts ungewöhnliches – denn hier hält man mit seinem Verdienst nicht „hinter’m Berg“ – wie man das ja in Deutschland eher tut. Es dient einfach nur der Einschätzung seines Gegenübers.
Mit der Motor-Rikscha lasse ich mich also zum Busbahnhof zurückbringen. Im Reiseführer steht, dass der Bus von hier nach Thanjavur 5 Stunden unterwegs sein soll. Aber die erste Überraschung des Tages ist dann die Tatsache, dass es keinen durchgehenden Bus zu meinem Wunschziel gibt von Puducherry aus. Erschwerend kommt hier noch hinzu, dass alles ausschließlich in Tamil beschriftet ist – lauter lustige Schleifen und Bögen, die mir alle nichts sagen.
An diesem Punkt muss ich mal Kritik üben an meinem „Guidebook“. Das ist die Indien-Ausgabe von Stefan Looses Reisehandbuch – aber vom Prinzip „nur“ die deutsche Übersetzung der entsprechenden Ausgabe des „Rough Guides“. Und gerade beim Thema Busse und deren Verbindungen stimmt einfach so gut wie nie etwas. Aber vielleicht ist das auch zuviel verlangt, den gesamten Busverkehr Indiens wiedergeben zu wollen – zumal sich da sicherlich auch von Zeit zu Zeit Änderungen ergeben. Aber ich wollte es mal erwähnt haben.
Nach einigem Durchfragen weiß ich jetzt zumindest, dass ich zuerst bis Chidambaram weiter südlich fahren muss und wohl von dort einen direkten Bus nach Thanjavur nehmen kann.
Gesagt – getan! Der Bus braucht für die gut 70 km fast zwei Stunden… und der ganze Spaß kostet 43 Rs. Ansonsten aber keine besonderen Vorkommnisse – für indische Verhältnisse.
In Chidambaram am Busbahnhof nimmt mich der Fahrer dann sogar noch „an die Hand“ und bringt mich direkt zu der richtigen Haltestelle für den Bus nach Thanjavur. Wobei das alles hier nie so genau definiert ist wie bei uns. Zumindest bringt er mich also in den richtigen Bereich des Busbahnhofs.
Aber das ist meine Erfahrung bisher beim Busfahren, dass sich irgendwer immer meiner angenommen hat… der Kioskbesitzer oder der Schaffner, der mir zur richtigen Zeit zugerufen hat, wo es losgeht oder wann ich raus muss… oder sonst ein hilfreicher Passant oder Mitreisender, der sich für mich erkundigt hat. Alle hier mal wieder total freundlich und hilfsbereit! Aber so ist Indien halt einfach – wenn man sich abseits der Touristenströme bewegt!
Nachdem ich eine Stunde gewartet habe – mich zwischenzeitlich mit Pakoras verköstigt habe – rollt der richtige Bus nach Thanjavur auf den Hof.
Schon beim Einsteigen wird mir bewusst, dass dieser Bus noch eine ganz spezielle Sonderausstattung besitzt – neben der Hupe und den durchgängig geöffneten Fenstern: Nämlich eine Musikanlage, die der Fahrer ausgiebig und mit ohrenbetäubender Lautstärke einsetzt.
Zu meinem eigenen Wohl verzichte ich auf meinen „Stammplatz“ vorne links in der ersten Reihe neben dem Fahrer – denn genau dort ist auch in diesem Fall der Lautsprecher montiert. Ich schiebe meinen Rucksack auf eine Zweier-Sitzbank in der Mitte des Busses – in gebührendem Abstand zu der tosenden Schallquelle… und hoffe einfach, dass der Bus nicht zu voll wird und mich jemand bittet, den Platz freizugeben. Denn dann wird’s eng – und es gibt in diesem Bus auch so gut wie keinen anderen Stauraum für ein solches Ungetüm von Tasche.
Wir passieren Dörfer und Kleinstädte… die Landschaft gleicht der von gestern. Auffällig sind nur die gerade in ländlichen Gegenden vermehrt auftauchenden Häuser mit einem Dach aus Palmblättern.
Noch eine Randbemerkung meinerseits: Auch obwohl man mit Indien immer Dreck und schmutzige Straßen assoziiert, sind die Inder eigentlich sehr reinliche Menschen. Wenn man hier unterwegs ist – und gerade heute am Sonntag – sind alle „wie aus dem Ei gepellt“. Die Frauen tragen ihre Saris, ihren Schmuck und haben Blumen in die Haare gepflochten. Und auch bei den Männern läuft niemand in verschwitzten oder gar schmutziger Bekleidung durch die Gegend. Dass man trotzdem seinen Müll – und ich meine wirklich den Hausmüll – einfach auf die Straße wirft und es allen auch total egal ist, wie es da aussieht, liegt auch im Hinduismus begründet. Für Inder wäre es z.B. undenkbar – wie in der westlichen Welt ja üblich – ein Vollbad zu nehmen und in seinem eigenen „Dreck“ zu liegen – eigentlich nachvollziehbar. Deshalb behauptet bitte niemals, Indien wäre ein schmutziges Land. Man hat hier einfach nur andere Regeln und Vorstellungen.
Um kurz nach Fünf passieren wir – nach fast vier Stunden Fahrt – dann endlich Thanjavur und der Schaffner nickt mir zu – ich muss raus! Eine Motor-Rikscha bringt mich zu meinem Hotel, das laut Reiseführer in der Stadt alternativlos sein soll. Heute Morgen hatte ich auch bereits den Portier in Puducherry hier für mich anrufen lassen, um ein Zimmer zu reservieren. So einen Reinfall wie gestern wollte ich heute auf jeden Fall vermeiden.
Ich bekomme ein tolles Einzelzimmer für 605 Rs. und schon beim Eintreten leuchtet mir ein makellos weißes Bettlaken entgegen. Die indische Toilette mag ich da doch gerne in Kauf nehmen – der Rest „stimmt“ aber wirklich!
Namaste! … wo immer ihr auch gerade seid!