Tagesarchiv: 4. Januar 2015

Thanjavur – On the road again…

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4. Januar – Tag 22

Um 9:30 Uhr verlasse ich die gastliche Stätte, in der ich meine letzte Nacht verbracht habe. Irgendwie war die halbe Nacht „Remmi-Demmi“ auf dem Flur – und ich habe nur mäßig gut geschlafen. Aber schließlich waren außer den beiden Berlinerinnen und mir ja auch ausschließlich Inder im Hotel. Die haben da anscheinend ihre eigenen Vorstellungen, was Rücksichtnahme angeht. Aber das hatte ich ja schon mal erwähnt – solch eine Regung ist im Hinduismus nicht wirklich verankert. Da ist jeder halt „seines eigenen Glückes Schmied“!

Ganz süß waren noch zwei indische Jungs – einer vielleicht 10 Jahre alt und der andere 6 Jahre – die ich auf dem Flur getroffen habe. Wie üblich wird dann der Standard-Fragenkatalog heruntergespult: Woher ich komme, wie ich heiße, was ich arbeite. Aber all das hat seinen Grund… denn die klassische indische Gesellschaft ist stark geprägt von Hierarchien. Und man möchte einfach nur schnell herausfinden, auf welcher Stufe man denn sein Gegenüber einzuordnen hat. Als der Zehnjährige (!!!) dann jedoch nach meinem Gehalt gefragt hat, bin ich nicht weiter drauf eingegangen und habe das Thema zu Fußball gewechselt. Aber selbst eine solch direkte Frage ist für Inder nichts ungewöhnliches – denn hier hält man mit seinem Verdienst nicht „hinter’m Berg“ – wie man das ja in Deutschland eher tut. Es dient einfach nur der Einschätzung seines Gegenübers.

Mit der Motor-Rikscha lasse ich mich also zum Busbahnhof zurückbringen. Im Reiseführer steht, dass der Bus von hier nach Thanjavur 5 Stunden unterwegs sein soll. Aber die erste Überraschung des Tages ist dann die Tatsache, dass es keinen durchgehenden Bus zu meinem Wunschziel gibt von Puducherry aus. Erschwerend kommt hier noch hinzu, dass alles ausschließlich in Tamil beschriftet ist – lauter lustige Schleifen und Bögen, die mir alle nichts sagen.

An diesem Punkt muss ich mal Kritik üben an meinem „Guidebook“. Das ist die Indien-Ausgabe von Stefan Looses Reisehandbuch – aber vom Prinzip „nur“ die deutsche Übersetzung der entsprechenden Ausgabe des „Rough Guides“. Und gerade beim Thema Busse und deren Verbindungen stimmt einfach so gut wie nie etwas. Aber vielleicht ist das auch zuviel verlangt, den gesamten Busverkehr Indiens wiedergeben zu wollen – zumal sich da sicherlich auch von Zeit zu Zeit Änderungen ergeben. Aber ich wollte es mal erwähnt haben.

Nach einigem Durchfragen weiß ich jetzt zumindest, dass ich zuerst bis Chidambaram weiter südlich fahren muss und wohl von dort einen direkten Bus nach Thanjavur nehmen kann.

Gesagt – getan! Der Bus braucht für die gut 70 km fast zwei Stunden… und der ganze Spaß kostet 43 Rs. Ansonsten aber keine besonderen Vorkommnisse – für indische Verhältnisse.

In Chidambaram am Busbahnhof nimmt mich der Fahrer dann sogar noch „an die Hand“ und bringt mich direkt zu der richtigen Haltestelle für den Bus nach Thanjavur. Wobei das alles hier nie so genau definiert ist wie bei uns. Zumindest bringt er mich also in den richtigen Bereich des Busbahnhofs.

Aber das ist meine Erfahrung bisher beim Busfahren, dass sich irgendwer immer meiner angenommen hat… der Kioskbesitzer oder der Schaffner, der mir zur richtigen Zeit zugerufen hat, wo es losgeht oder wann ich raus muss… oder sonst ein hilfreicher Passant oder Mitreisender, der sich für mich erkundigt hat. Alle hier mal wieder total freundlich und hilfsbereit! Aber so ist Indien halt einfach – wenn man sich abseits der Touristenströme bewegt!

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Nachdem ich eine Stunde gewartet habe – mich zwischenzeitlich mit Pakoras verköstigt habe – rollt der richtige Bus nach Thanjavur auf den Hof.

Schon beim Einsteigen wird mir bewusst, dass dieser Bus noch eine ganz spezielle Sonderausstattung besitzt – neben der Hupe und den durchgängig geöffneten Fenstern: Nämlich eine Musikanlage, die der Fahrer ausgiebig und mit ohrenbetäubender Lautstärke einsetzt.

Zu meinem eigenen Wohl verzichte ich auf meinen „Stammplatz“ vorne links in der ersten Reihe neben dem Fahrer – denn genau dort ist auch in diesem Fall der Lautsprecher montiert. Ich schiebe meinen Rucksack auf eine Zweier-Sitzbank in der Mitte des Busses – in gebührendem Abstand zu der tosenden Schallquelle… und hoffe einfach, dass der Bus nicht zu voll wird und mich jemand bittet, den Platz freizugeben. Denn dann wird’s eng – und es gibt in diesem Bus auch so gut wie keinen anderen Stauraum für ein solches Ungetüm von Tasche.

Wir passieren Dörfer und Kleinstädte… die Landschaft gleicht der von gestern. Auffällig sind nur die gerade in ländlichen Gegenden vermehrt auftauchenden Häuser mit einem Dach aus Palmblättern.

Noch eine Randbemerkung meinerseits: Auch obwohl man mit Indien immer Dreck und schmutzige Straßen assoziiert, sind die Inder eigentlich sehr reinliche Menschen. Wenn man hier unterwegs ist – und gerade heute am Sonntag – sind alle „wie aus dem Ei gepellt“. Die Frauen tragen ihre Saris, ihren Schmuck und haben Blumen in die Haare gepflochten. Und auch bei den Männern läuft niemand in verschwitzten oder gar schmutziger Bekleidung durch die Gegend. Dass man trotzdem seinen Müll – und ich meine wirklich den Hausmüll – einfach auf die Straße wirft und es allen auch total egal ist, wie es da aussieht, liegt auch im Hinduismus begründet. Für Inder wäre es z.B. undenkbar – wie in der westlichen Welt ja üblich – ein Vollbad zu nehmen und in seinem eigenen „Dreck“ zu liegen – eigentlich nachvollziehbar. Deshalb behauptet bitte niemals, Indien wäre ein schmutziges Land. Man hat hier einfach nur andere Regeln und Vorstellungen.

Um kurz nach Fünf passieren wir – nach fast vier Stunden Fahrt – dann endlich Thanjavur und der Schaffner nickt mir zu – ich muss raus! Eine Motor-Rikscha bringt mich zu meinem Hotel, das laut Reiseführer in der Stadt alternativlos sein soll. Heute Morgen hatte ich auch bereits den Portier in Puducherry hier für mich anrufen lassen, um ein Zimmer zu reservieren. So einen Reinfall wie gestern wollte ich heute auf jeden Fall vermeiden.

Ich bekomme ein tolles Einzelzimmer für 605 Rs. und schon beim Eintreten leuchtet mir ein makellos weißes Bettlaken entgegen. Die indische Toilette mag ich da doch gerne in Kauf nehmen – der Rest „stimmt“ aber wirklich!

Namaste! … wo immer ihr auch gerade seid!

Puducherry – Komm‘ auf die dunkle Seite der Stadt!

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3. Januar – Tag 21

Nach dem Frühstück – einem echten Backpacker-Frühstück mit Käse-Tomaten-Omlette, Toast und zwei Tassen Milchkaffee – mache ich mich auf den Weg nach Puducherry. Und weil der Bus mal wieder nicht im Zentrum abfährt, gehe ich die zwei Kilometer zu Fuß bis zu der Kreuzung, an der die Umgehungsstraße von der Hauptstraße abzweigt. Nach knappen zehn Minuten erscheint dann auch wirklich ein klappriges Gefährt, an dessen Scheibe in großen Lettern die Beschriftung „Chennai – Puducherry“ prangt… viele andere Möglichkeiten gibt’s hier ohnehin nicht.

Um 11:20 verlassen wir die Haltestelle am Straßenrand. Der Schaffner knöpft mir für die Fahrt 60 Rs. ab! Ganz schön happig, denke ich – das sind immerhin 90 Cents – im Verhältnis zu den 27 Rs. für die Fahrt von Chennai aus nach Mamallapuram.

Auf der Seite des Busses prangt unübersehbar ein Aufkleber mit dem Schriftzug „AIR BUS“ – was in diesem Fall allerdings zu bedeuten hat, dass während der Fahrt alle Fenster geöffnet sind. Luftig ist es also auf jeden Fall. Wie man sich dabei keine Erkältung holen soll, ist mir zwar ein Rätsel – aber ich hoffe auf’s Beste! Einer der drei Millionen Götter wird sich schon drum kümmern!

Bevor ich einen der heißbegehrten Sitzplätze in dem randvoll besetzten Bus ergattern kann – und dabei den Vordrängelversuch eines Mitfahrers „abzuwehren“ weiß – stehe ich eine zeitlang vorne neben dem Fahrer. Warum unser Chauffeur zwischen seinen Füßen einen dicken Pflasterstein auf dem Boden liegen hat, erschließt sich mir jedoch nicht wirklich. Wahrscheinlich ist das so eine Art indischer „Tempomat“! Die Geschwindigkeit wird hier ohnehin „nach Gefühl“ gemessen… denn auch die Tachonadel bleibt mal wieder beharrlich auf der „0“ stehen.

Draußen vorm Fenster zieht eine dünn besiedelte, grüne Landschaft vorbei – mit Palmenwäldern, kleinen und größeren Seen, ruppigen Weiden und Reisfeldern. Und an jeder Ecke wird gebaut – Straßen, Infrastruktur, Häuser. Indien entwickelt sich… und wird in Zukunft mit Sicherheit in unserer europäischen Wahrnehmung deutlicher spürbar sein als vielleicht noch heute.

Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir in Puducherry an. Der Busbahnhof ist jetzt auch wirklich keine Schönheit und unterscheidet sich nicht sonderlich von denen anderer indischer Städte… und trotzdem hat diese Stadt etwas Besonderes!

Dazu muss man allerdings etwas ausholen und zurückgehen in die Geschichte. Bereits im 2. Jh. war „Poduke“ ein wichtiger Zwischenstopp auf dem Seeweg zwischen Rom und dem Fernen Osten. Danach stand die Stadt unter häufig wechselndem Einfluss – bis 1742 Joseph-François Dupleix den Gouverneursposten übernahm. Er ließ ein orthogonales Straßenraster anlegen, welches von einem breiten, langen Boulevard umrundet wird und in Nord-Süd-Richtung von einem Kanal durchschnitten wurde, der die „Ville Blanche“ im Osten von der „Ville Noire“ im Westen trennte.

Und so hat die „Weiße Stadt“ sich bis heute das Flair einer französischen Hafenstadt bewahrt. Die sonst üblichen Basare entlang der Straßen weichen Reihen von meist zweigeschossigen Häusern mit Fensterläden und bunten Fassaden, man findet reich verzierte katholische Kirchen, die Straßen tragen französische Namen und auf staubigen Plätzen wird Boule gespielt.

Der östliche Stadtteil – die „Schwarze Stadt“ – spiegelt aber – abgesehen vom orthogonalen Straßenraster – das gewohnte indische Stadtbild wieder.

Vom Busbahnhof aus lasse ich mich mit einer Motor-Rikscha zum Guesthouse meiner Wahl kutschieren… um dort zu erfahren, dass sie ausgebucht sind. Also mache ich mich auf den Weg um die Ecke, denn hier soll es laut Reiseführer noch weitere Unterkünfte geben. Auf dem Weg sprechen mich zwei eindeutig westlich aussehende Frauen an – ebenfalls auf der Suche nach einer Bleibe – und ich stelle nach den ersten Worten auf Englisch fest, dass sie aus Berlin sind.

Wir setzen also unsere Suche gemeinsam fort – jedoch zunächst mit geringem Erfolg. Alle halbwegs bezahlbaren Unterkünfte sind belegt und die anderen verlangen Fantasiepreise! Ferien eben!

Bald haben wir die Ecke abgegrast – aber bleiben vorerst weiterhin ohne Bleibe. Der Reiseführer schlägt jedoch noch eine andere Ecke der Stadt vor, in der sich mehrere Hotels und Guesthouses befinden. Aber auch hier: Fehlanzeige!

Schließlich wird ein Motor-Rikscha -Fahrer auf uns aufmerksam und bietet an, uns zu einem Hotel mit freien Zimmern zu fahren. Wir steigen ein und er kurvt uns wieder zurück in den östlichen Stadtteil.

Das „Bliss Inn“ soll also die Herberge unserer Wahl werden… nun ja, der Laden ist eine ziemliche Bruchbude. Aber es scheint sonst keine Alternative zu geben. Das Zimmer ist ziemlich „runter“ und ranzig, der Deckenventilator kennt nur noch die Schalterstellungen „Aus“ oder „Orkan“, am real vorhandenen Fernseher sind die Programmwahltasten herausgebrochen und die Fernbedienung bleibt völlig funktionslos. Dass das Bad „nur“ eine indische Toilette hat – also ein Loch im Boden – ist wohl kaum noch des Erwähnens wert.

Nach der Besichtigung bin ich etwas frustriert – aber für eine Nacht wird es wohl gehen. Und dafür noch 800 Rs. – im voraus! No Refund – gibt der Hotelier deutlich zu verstehen! Das spricht wohl aus der Angst heraus, dass man sich noch nach was besserem umschauen könnte. Aber schlafen werde ich mit Sicherheit in meinem Schlafsack.

Zu dritt erkunden wir noch ein wenig die Stadt, gönnen uns an der Strandpromenade (hier gibt es nur einen Felsenstrand) einen Kaffee. Dann trennen sich unsere Wege… denn meine Begleiterinnen wollen noch Shoppen – was zum Anziehen! Klar!

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Ich hingegen stelle mich einer ganz anderen Herausforderung… ich habe heute (fast) alle ästhetischen Grundsätze über Bord geworfen und reise ab sofort in Flip-Flops! Es ist einfach nicht auszuhalten in „richtigen“ Schuhen – weil viel zu heiß! Und ich will sehen, ob ich hier ein Ersatzpaar auftreiben kann – was sich aber bei meiner Schuhgröße als nicht gerade einfach herausstellt. Achselzucken ist da die angesagte Geste! Größe 10 oder 11 noch vielleicht… aber 12? Keine Chance! Ich hoffe also mal, dass der Gott des Schuhwerks mir wohlgesonnen ist.

Recht angenehm empfinde ich übrigens eine gewisse „Entspanntheit“ – nach indischen Maßstäben – die man hier in der Stadt spüren kann. Man geht irgendwie völlig unter im alltäglichen Treiben, man bezahlt die auch sonst üblichen Preise, die jeder andere bezahlen würde, man steht nicht ständig im Fokus von jemandem, der einem etwas verkaufen oder sonst was „Gutes“ tun möchte. Einfach alles normal hier eben!

Trotzdem geht’s morgen weiter – nach Thanjavur mit seinem mächtigen Brihadishwara-Tempel. Und das bedeutet: Fünf Stunden Busfahrt! Ich lasse mich mal überraschen, was mich auf dem Weg dorthin erwartet.

Namaste! … wo immer ihr auch gerade seid!